Mit dem Rad zum Lake Ontario

Samstag, ein neuer Tag. Ich beginne, mein Zuhause zu mögen. Als erstes weihe ich die Dusche ein, danach ein gemütliches Frühstück. An die English Muffins kann man sich gewöhnen. Getoastet kommen sie dem, was man von Deutschland als Toast oder Brötchen kommt, noch am nächsten. Ach übrigens, ich toaste hier nicht in irgendeinem Toaster, sondern in einem echten „Proktor Silex“. Cool eh? Ich komme noch etwas mit Grace ins Gespräch. Sie hat Karten für mich von Hamilton. Sehr gut, grade jetzt, wo ich meine verloren habe. Ich meine zu ihr, dass ich Hamilton gerne erkunden würde, aber dazu muss ich halt erstmal an ein Fahrrad kommen. Naja, antwortet sie mir, sie wollte ihres gerade verkaufen, ich könnte es haben. Ich schaue es mir an, es ist fahrtüchtig. Zwar nicht grade in exzellentem Zustand, aber fahrtüchtig. Für 40 $ ist es meins. Cool, das war einfach! 😀
Als nächstes rufe ich bei Bell an, um mein Telefon einzurichten. Tausende Fragen stellt sie mir, von denen ich die meisten auch verstehe. Zwei Identifikationsdokumente will sie von mir. Bloß gut, dass ich mir einen internationalen Führerschein hab machen lassen. Dieser, zusammen mit meinem Pass, stellt sie zufrieden. Mein Account wird am Montag eingerichtet sein. Naja, zwar am Wochenende kein Telefon, aber dafür ist gleichzeitig Telefon und PC fertig. Das passt doch ganz gut. Eine Weile muss ich noch warten, bis ich aufbrechen kann, weil Lisa noch von mir Geld bekommt und sie sich, wie so oft, etwas verspätet. Gegen 14:00 kann ich dann endlich aus dem Haus. Nun, da ich ein Fahrrad und eine Karte habe, hält mich nichts mehr. Ich will Hamilton sehen. Gleichzeitig will ich Sandalen kaufen (meine sind total zerpflückt), auch benötige ich dringend ein Ladegerät, denn die Akkus zu meiner Kamera sind mittlerweile runter (was man ihnen nach zwei Wochen Dienst mit über 200 Fotos auch kaum verdenken kann). Ich kann drei Läden ausfindig machen, die solche Geräte führen, alle ziemlich weit entfernt. Aber naja, ich habe ja ein Fahrrad. Also radle ich erstmal die King St. hinunter Richtung downtown. An der Locke St. biege ich links ab, ich will runter zum See, endlich mal den Lake Ontario sehen. Nach einer Weile Fahrt, der erste Blick auf den See. Beeindruckend. Noch bin ich einige Meter über Seeniveau, ich muss noch weiter hinunter kommen. Hamilton hat einen Teil des See’s für sich abgeteilt, wie einen großen Hafen. Getrennt wird dieser Teil vom Rest des Lake Ontario durch eine riesige Brücke. Diese ist jedoch ganz schön weit weg (ich vermute mal 90 Fahrradminuten) und daher nehme ich mir jenen Teil für später vor. Heute will ich den Hafen von Hamilton und das Innere der Stadt begutachten. Auch das Niagra Escarpment reizt mich, doch dazu später. Im Moment stehe ich erstmal im Dundurn Park, der sich oberhalb des See’s entlang zieht. Eine Karte verspricht Treppen, die zum See hinunter führen werden. Bis dahin radle ich durch einen liebevoll angelegten Park, ausgedehnte Wiesen und einige Bäume. Es riecht nach pot. Wenn Kanadier pot sagen meinen sie Gras. „To smoke a pot“ – kiffen. Das ist insofern interessant, als das ich gerade am Tag davor einen Artikel über das „marijuana – law“ in Ontario gelesen habe. So ganz habe ich den Artikel zwar nicht verstanden, aber was ich verstanden habe ist, dass die Regierung es versäumt hat, das neue marijuana – law rechtzeitig zu bestätigen und es somit hinfällig geworden ist. Deshalb gibt es im Moment in Ontario kein Gesetz was den Gebrauch ebenjener Droge verbietet. Man inhaftiert zwar gelegentlich Leute deshalb, doch alle diese kommen über kurz oder lang wieder frei, da im Moment keine Handhabe gegen sie existiert. Hashbars sprießen, so der Artikel, in ganz Ontario wie Pilze aus dem Boden.

Einige Meter später weist mich eine eiserne Tafel darauf hin, dass ich mich auf den Burlington Heights befinde, wo ein General John Vincent um 1813 die Niagra-Halbinsel verteidigte. Ein paar Kanonen hat man wohl stehen lassen. Für die Touristen. Sie sind ziemlich abgegriffen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich eine Horde Touris mit gezückten Fotoapparaten und aufgesetztem Grinsen davor postieren.
Und weiter radle ich zu den Treppen. Kurz davor ein sehr schöner Aussichtspunkt über Burlington und den Hafen von Hamilton. In weiter Ferne erkenne ich die Hochhäuser von Toronto. Der Blick gefällt mir so gut, dass ich ein Panorama mache (viel Spaß beim angucken :D). Danach schiebe ich mein Fahrrad über das endlos wirkende Treppengerüst hinunter zum See. Was mich dort erwartet ist ein sehr schöner, breit ausgebauter Weg, der am Hafen entlang führt. Auf ihm Fußgänger, Fahrradfahrer und vor allem Rollerblader. Ein sehr beliebtes Fortbewegungsmittel hier. Nach ungefähr einer Meile schönen Strandes geht der Weg über in den Bayfront Park, den ich mir aber aus Zeitgründen nicht ansehe. Ich fahre weiter in die Stadt hinein. Das Hafengelände wird industrieller, riesige Piers, mit großen Lagerhallen drängen sich hier am Wasser aneinander. Eine Fabrik für Stahlblech nimmt eine sagenhaft große Fläche ein. Es ist einfach alles beeindruckend groß hier. So groß, dass man es gar nicht fotografieren kann. Dazu fehlt der Eindruck, die Tiefenwirkung. Ihr müsst mich schon besuchen kommen um euch das anzuschaun (Besucher sind immer gerne willkommen! Nur für den Flug kann ich nicht aufkommen… den müsst ihr selbst finanzieren.). Nunja, nach einiger Zeit Fahrt erreiche ich die Ottawa St., mein vorläufiges Ziel für heute. Weiter will ich in Richtung Ost (was von mir aus downtown ist) nicht fahren. Naja, dort finde ich dann auch meinen Laden, wo ich besagtes Ladegerät kaufen kann. Zum Mittag gibt es Fish’n’Chips in einer kleinen gemütlichen Eckkneipe. Dort gegenüber sehe ich übrigens etwas ziemlich bedeutendes: die legendäre allerallererste Tim Horton’s Filiale! Von Tim Horton’s hatte ich ja schon erzählt. Nur müsst ihr wissen, dass es den hier wirklich an jeder zweiten Hausecke gibt. Es ist ein riiiiesiger Konzern in ganz Kanada und USA. Und naja, hier haben sie halt angefangen, am 17. Mai 1964 ;-).
Ich bin die Ottawa St. jetzt südlich gefahren. Fährt man sie immer weiter und weiter und weiter, wird man nach einier Zeit mit einem Berg zusammenstoßen. Das ist das Niagra Escarpment. Wie das hier genau geologisch zusammenhängt, habe ich auch noch nicht rausgefunden. Jedenfalls ist es so, dass Hamilton an sich zwar sehr flach ist, aber auf zwei Ebenen verläuft. Eine Hochebene und eine im Flachland. Die Trennlinie ist das Escarpment. Irgendwie hat sich der Niagra River hier wohl vor vielen Millionen Jahren in die Landschaft geschnitten. Wenn ich das richtig verstanden habe. Naja, wie auch immer, jedenfalls will ich da hoch. Denn ich erwarte von dort oben einen sehr schönen Blick auf Hamilton. Doch wie zum Teufel erklimmt man, was ich auf 30-40m Felswand schätze? Nun, es muss einen Weg dort hoch geben, denn da wohnen Leute. Also fahre ich am Escarpment entlang Richtung Westen. Und siehe da, ich muss gar nicht lange suchen. An der Wentworth St. geht eine Straße nach oben. Der Sherman Access. Eine relativ steile, asphaltierte Straße. Doch das ist nicht der einzige Weg nach oben. Außerdem gibt es hier noch Treppen, die nach oben gehen. Da ich nur auf einen kurzen Ausblick aus bin und keine Lust habe, kilometerweit bergauf zu fahren, entscheide ich mich, die Treppen zu nehmen. Und ooohaaa, das sind Treppen! Insgesamt genau 500 Stufen führen hier nach oben! Doch, es lohnt sich, von oben werde ich mit einem sehr schönen Blick über ganz Hamilton und auf den Lake Ontario (so weit man ihn denn sehen kann) belohnt, den ich natürlich mal wieder in einem Panorama festhalte. Da mich der Ausblick so fasziniert, gehe ich noch etwas am Mountain Boulevard entlang. Exklusive Wohnungen mit einem echt hammermäßigen Blick (der auch sicher nicht so bald zugebaut werden kann ;)) sehe ich hier. Auch gibt es hier ein Krankenhaus, dessen Terasse direkten Blick auf Hamilton bietet. Da meine Sandalen mittlerweile völlig den Geist aufgegeben haben, gehe ich barfuß weiter. Viele weitere Ausblicke eröffnen sich mir. Gerne würde ich hier noch weiter gehen, aber aus Zeitgründen entscheide ich mich, umzukehren. Ich wollte noch Sandalen kaufen. Auf dem Rückweg zu den Treppen fällt mir ein Schild auf: Biking way to Limeridge Mall. Von der Limeridge Mall hatte ich gelesen. Da hieß es: Jackson Square ist eines der kleineren Einkaufszentren, wer richtig shoppen gehen will, sollte zur Limeridge Mall gehen. Auf meiner Karte ist sie zwar nicht eingezeichnet, aber ich denke mir, weit kann sie ja nicht sein und also laufe ich mit meinen zerpflückten Sandalen in der Hand dort hin. Wenn ein Schuhgeschäft dann doch am allerehesten in der größten Mall Hamiltons. Es mag zwar Samstag abend sein, aber da wird schon noch was auf haben, denke ich. Nunja, der Asphalt stellt sich als sehr scharfkantig heraus und so muss ich schon bald meine Schuhe wieder anziehen, da mir die Füße schmerzen. Ich laufe die Upper Wentworth Street Richtung Süden. Der Weg zieht sich. Sie muss doch irgendwann mal… Nach 10 Minuten Weg, eine Mall. Habe ich sie endlich gefunden? Nein, das ist nur ein kleines Einkaufszentrum, kein Schuhgeschäft zu sehen. Es dauert eine halbe Stunde, bis ich endlich an der Limeridge Mall ankomme. Und dreimal dürft ihr raten… natürlich haben da längst alle Geschäfte geschlossen. Es ist 10 nach 6 und um 6 machen hier alle Läden dicht. Nun bin ich aber wirklich schwer enttäuscht von Hamilton. Aber war ja klar, dass mir das wieder passiert. Alles was ich hier erreichen kann, ist, an einem public payphone einen Menschen anzurufen, den ich über alles liebe…
Für den Rückweg nehme ich einen Bus, der mich bis zu den Treppen fährt. Es wird langsam dunkel, als ich sie erreiche und zu meinem Fahrrad eile. Gegen zehn bin ich zurück und falle ziemlich schnell ins Bett. Wie üblich kommt mir der Gedanke ans Internet. Naja morgen nicht, aber Montag dann, hier, am eigenen PC mit dem eigenen Telefon. Nun kann doch nix mehr schief gehen.