Triester Herbst in Kanada

Nun, irgendwann ging auch der wunderschöne Herbst mal vorbei. Die Bäume entblätterten sich und die gerade noch so bunten Wälder hüllten sich in ein winterlich monotones Grau. Der Winter stand vor der Tür, man konnte es spüren, ganz deutlich. Doch irgendwie ließ er auf sich warten. Während in Deutschland der erste Schnee fiel und sich so mancher bei mir nasetriefend über die Kälte beklagte, blieb bei mir der Dezember sehr mild. Natürlich wurde ich nicht darin müde, den Schnupfnasen hämisch unter die Nase zu reiben, dass das wohl das Klima in so südlichen Gefilden wie Kanada ist. Denn schließlich befinde ich mit auf ca. 43.1° nördlicher Breite, ebenso wie Florenz, Monaco und Marseille und damit nur 1.5° nördlicher als Rom, Barcelona oder Istanbul. Wer es nicht glaubt, möge in einen Atlas schauen ;-).
Um so weniger mild ging dann jedoch das erste Semester zu Ende: Klausuren, Assignments und andere (Un-) Erfreulichkeiten wollten da noch absolviert werden. Doch irgendwann war alles überstanden und endlich machte der permanente Gedanke Studium Raum… Raum für… ja für was eigentlich? Na klar! Weihnachten! Mit einem Male fühlte ich mich förmlich wie vom Schlag getroffen und die Wahrheit wurde mir bewusst: In einer Woche ist ja… Weihnachten. Und trotzdem, wie Weihnachten war mir gar nicht zu Mute. Doch für ein allmählichen Übergang zur Besinnlichkeit – längst zu spät. Da hilft nur eins: Die erste Hilfe aus dem nächstgelegenen Supermarkt. Und also deckte ich mich ein mit allerlei Kerzen, manch eine sogar Duft verbreitend, Lichterketten, Räucherkerzen und allem was mir sonst noch zum Thema Weihnachten einfiel. Doch wir wissen ja – allein besinnt man sich nicht gern und so wären wohl all diese Notfallmaßnahmen wirkungslos geblieben, wenn… ja wenn da nicht, eines wunderschönen Dezembertages, die Rettung meiner Seele, der Inbegriff meines Glücks, das Zentrum meiner Existenz, die Inkarnation meiner Liebe, kurz, mein Schatz, wie von des Adlers Schwingen beflügelt, sanft und unbeschadet auf dem Pearson International Airport gelandet wäre. Doch zu meinem Glücke ist ja genau das geschehen und so wichen wir uns nicht mehr von der Seite für die nächsten wundervollen 26 Tage. Den Weihnachtsabend verbrachten wir im „familiären“ Kreise, mit meinen Mitbewohnern Scott und Kathy und zahlreichen Flaschen Sekt und Wein. Man munkelt sogar, Whiskey sei auch im Spiel gewesen…
Und nur zwei Tage später stand noch mehr Besuch ins Haus: Langjähriger Mitbewohner und studentischer Mitstreiter Bernd hatte sich, unter Zuhilfenahme eines Mietwagens, auf die glücklicherweise nicht allzu weite Reise in die Stadt „in der nur lebt wer muss“ (Zitat diverse Einheimische) gemacht, um uns hier einen Besuch abzustatten. Und so verbrachten wir dann die nächsten dreieinhalb Tage zusammen und nutzten die Gelegenheit, ein Auto zur Verfügung zu haben, um die Umgebung unsicher zu machen. Im Zuge dessen blieben weder Toronto noch die Niagara-Fälle vor uns verschont (Näheres dazu werde ich in einem Sonderbericht erzählen, nur Geduld.).

Jedoch der Winter ließ weiter auf sich warten. Es sollte noch bis zum 6. Januar dauern, bis Väterchen Frost an die Tür klopfte. Obschon es „mit der Tür ins Haus fiel“ wohl besser umschreiben würde. Denn mit einem Male wurde es dann doch empfindlich kalt. Bevor ich nun hier mit Temperaturen „angebe“ möchte ich eins erklärend vorweg schicken. Hamilton liegt am Ontario-See, der sich östlich und nördlich von uns erstreckt. Fährt man nach Süden, kommt man recht bald an den Erie-See. Und nach nur 200 Kilometern Fahrt in westlicher Richtung (was für kanadische Verhältnisse wahrlich kaum mehr ist als ein Katzensprung) stößt man auf den Lake Huron. Kurzum: in jeder Himmelsrichtung gibt es größere Wasseransammlungen. Und das macht sich bemerkbar: Sobald es stürmt, stürmt es feucht. Die Luftfeuchtigkeit ist eigentlich immer hoch. Und das mag manch einer aus eigener Erfahrung bestätigen können – je feuchter der Wind, desto stärker empfindet man die Kälte. Es ist die Form von Kälte, die in jede Pore des Körpers zu kriechen scheint, die sich hämisch über jede nicht perfekt abgedichtete Stelle in der Kleidung freut, die einem sprichwörtlich das Blut in den Adern gefrieren lässt. Und deshalb kann der Blick auf’s Thermometer mitunter arglistig täuschen, denn auch wenn die Sonne scheint und es doch so warm aussieht, der Wind ist geradezu tödlich. Aus jenem Grunde ist also vor dem Gang aus dem Hause stets die „gefühlte Temperatur“ vom Wetterinformationsdienst seines Vertrauens zu überprüfen. Und die lag den größten Teil des Winters noch 10°C unter dem, was uns das Quecksilber androhte. Der Kälterekord, den ich persönlich erlebte, belief sich auf -24°C Quecksilber bei einer gefühlten Temperatur von -32°C. Das ist ganz schön kalt. So kalt, dass einem beim Fahrradfahren die Augen tränen und selbige Flüssigkeit nicht wenig später im Gesicht gefriert. So kalt, dass sich jeder Windstoß an eventuell freiliegenden Ohren anfühlt, wie ein aufgesetzter Schuss aus einer Schrotflinte. So kalt, dass… man einfach nicht rausgeht wenn man es nicht unbedingt muss. Aber wir mussten natürlich. Eine lückenlose Dokumentation war schließlich eine der wesentlichsten Missionen meines hiesigen Aufenthaltes. Und davon profitiert ihr ja nun auch. Wären wir nicht unter Einsatz unseres Lebens unserer dokumentarischen Pflicht nachgekommen, könntet ihr nun die folgenden Fotos nicht bestaunen. Also, betrachtet sie mit Respekt. 😉
Die ersten drei Fotos sind bei mir am Haus entstanden, als es das erste mal richtig geschneit hatte. Die restlichen Fotos haben wir beide am „Princess Point“ aufgenommen (die meisten davon wurden von meinem Schatz fotografiert). Leider sieht man nicht, wie kalt es ist. Aber glaubt mir einfach, es war verdammt kalt.
Natürlich gab es noch auf vielen weiteren Touren einige wunderschöne Motive, die ich nur zu gerne abgelichtet hätte. Unglücklicherweise hat sich jedoch meine Kamera verabschiedet :(. Das Objektiv blieb irgendwann beim Hineinfahren auf halbem Wege stehen und dort steht es noch immer, es bewegt sich nicht vor und nicht zurück. Schalte ich die Kamera ein, müht sie sich zwar kräftig ab, das Objektiv zu bewegen, gibt dann allerdings nach einigen Versuchen auf und quittiert ihr Scheitern mit 5 kurzen Piepstönen sowie der sehr hilfreichen Schrift „E18“ auf dem Display. Mittlerweile habe ich die Kamera dem Fotoladen, bei dem ich sie erstand, übersandt, selbiger leitet sie im Moment zwecks Reparatur an Canon weiter. Zum Glück habe ich ja noch Garantie. Ich bin übrigens nicht der einzige mit dem Problem, google erzählte mir von unzähligen E18 – Betroffenen mit den unterschiedlichsten Canon – Modellen. Nun ja, hoffen wir, dass ich meine Kamera bald funktionstüchtig zurückbekomme. Traurig, dass ich so viele schöne Motive verpasst habe. Aber nicht zu ändern.